43 - Die universelle Lehre als Lebensausdruck

Die Zeit liegt hinter uns, in der wir für soziale Reformen kämpften. 

Dieses Ziel interessiert uns wohl noch, insofern die Rede vom Vernichten hinfälliger Zustände ist, aber diese ermüdenden, so häufig nutzlosen Anstrengungen, um die verfestigte Not-Ordnungssituation neu zu schaffen, sind längst nicht mehr das Ziel unseres Bestehens.  

Als wir - wahrscheinlich in einer grauen Vergangenheit - von einem dogmatischen Christentum zu der "Ketzerei" übertraten, verwarfen wir damit - äußerlich - den Gottesdienst, in der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes. 

Die Ketzerei ließ uns aus einer religiösen Sklaverei aufstehen und machte uns aus einem folgsamen Herdentier zu einem Individuum, einem Ich-Individuum. 

Es war der Augenblick, da wir die Macht und die Möglichkeit des Ichs, des eigenen Wesens, erkannten. 

Und in Jahren des Streites und der Auflehnung erprobten wir dieses "Ich" in allen seinen Schattierungen. 

Wir nahmen Opfer auf uns, um die Wünsche des "Ichs" zu befriedigen. Wir ließen alles ganz außer acht, um aus einem menschlichen, individuellen Gerechtigkeitsgefühl die Ideen unseres eigenen Ichs zu propagieren. 

Alles mit der Absicht, die Lebenssphäre innerhalb der Gesellschaft zu verändern, zu verbessern, so daß das "Ich" sich darin mehr zuhause, zufrieden fühlen sollte. 

Kurzum, das Ich kam zu vollem Wachstum in dem Kampf um gesellschaftliche Verbesserung und Wiederherstellung der Gerechtigkeit. 

Jeder Mensch muß diesen Anfangsweg gehen. 

Jeder Kandidat auf dem großen Heimweg muß zuallererst das Bewußtsein des eigenen "Ichs" erfahren, bevor er, langsam aber sicher, zur Einsicht des Endura oder der Transfiguration oder der Ich-Ersterbung kommt. 

Sobald der Mensch die ersten Schritte auf den Pfad der Ketzerei setzt, riskiert er: den Verlust von Gott als Mittelpunkt und das Annehmen des "Ichs" als Mittelpunkt. 

Viele Ketzer sind oder werden gott-los, sogenannte Atheisten, und vergessen dabei, daß sie Gott nur durch das "Ich" oder das "Ungöttliche" ersetzt haben.  

Jeder Mensch auf der Erde hat einen Lebensmittelpunkt, um den sich sein Leben bewegt, um den sich seine Gedanken, sein Fühlen, sein Wollen und Begehren bewegen. Nur der Gnostiker kennt die "Geteiltheit" als Mittelpunkt, da er inmitten der Ich-Ersterbung und des Wachsens des Seelen-Individuums steht. 

Darum kann der "Ketzer" sehr positiv und eindeutig ausgerichtet sein, er besitzt ein Ziel, in der Welt, auf der horizontalen Ebene, von dem er glaubt, daß es zu erreichen ist.  

Wir lassen die, welche wahrhafte Gnostiker sind und mit den "suchenden Ketzern" über einen Kamm geschoren werden, außer Betracht. 

Der übergroße Teil der "Ketzer", heute und in der Vergangenheit, gehört und gehörte zu denen, die in dem wachsenen Ich-Bewußtsein stehen. 

Wer außerhalb des dogmatischen Christentums tritt, weil er sich bewußt geworden ist, daß das universelle Licht und die Erlösung nicht innerhalb dieses Dogmas beschlossen liegen, hat bereits vor diesem äußerlichen Austritt einen Erfahrungsweg hinter sich liegen. 

Man kann in einem kirchlichen Milieu geboren werden - und sich darin bereits als Kind nicht zuhause fühlen. 

Der positive Schritt mußte dann nur noch von dem Betreffenden in diesem Leben gesetzt werden, ein Schritt, der einen Schlußstein einer mikrokosmischen Vergangenheit bildete. Die, welche sich jedoch zum ersten Mal von einer dogmatischen Religion freimachen, die rein horizontal gerichtet ist, stoßen sich nicht an erster Stelle an der Lichtlosigkeit, der Kraftlosigkeit der Bewegung, sondern sie agieren gegen die äußerliche Organisation. Gegen finanzielle Mißwirtschaft, gegen Ungerechtigkeit, gegen Mißverständnisse des Bibelgebrauchs, gegen Personen und Einrichtungen.  

Das ist das Zeichen, daß ihr "Ich" im Begriff ist, sich von den Ketten zu befreien, mit denen religiöse Machthaber arbeiten. Daraus folgt, daß dieser "Ketzer" sich selbst in kleinen Gruppen zu befriedigen sucht, die sich ebenfalls gegen die Macht des dogmatischen Christentums oder einer anderen dogmatischen Lehre auflehnen. 

Und nun liegt es an der Bewußtseins-Entwicklung dieses ''Ketzers'', ob er die Lehren des Lebens versteht und so immer weiter in die Einsamkeit hineingejagt wird, oder ob er unbelehrbar ist und in einer agierenden Gruppe einrostet, die genauso "horizontal" gerichtet ist wie die religiöse Bewegung, der er zuvor entschlüpft war. 

Dieser ideel eingestellte "Ketzer" muß durch Erfahrungen lernen, von dem Ich-Individuum zu dem Seelen-Individiuum zu kommen. Und dieser Weg beginnt mit der Abkehr von Gott, wenigstens von einem Gottesbild, und er endet mit dem Wieder-Aufgehen in einem Gottesbild. 

Der Gnostiker, der bereits zubereitete Mensch, der entdeckt hat, daß die Welt ihm keine Auflösung noch Erlösung schenken kann, ist der, welcher Gott bereits in seinem Seelen-Individuum wiedergefunden hat. 

Der Gnostiker ist also immer Gott-dienend, in der tieferen Bedeutung des Wortes. Der Okkultist ist ein Ich-Individuum, das einen prächtigen Ausweg gefunden hat, um die letzte Phase der Heimreise, das Endura nicht auf sich zu nehmen. 

Ein Okkultist ist niemals Gott-dienend - er ist insgeheim immer ich-dienend. Wer noch nicht zu dem Gottesdienst des Seelen-Individuums gekommen ist, sucht eine Befreiung für sich selbst. Dabei möchte man andere wohl auch in diese Art von Selbstbefreiung einweihen, aber das beginnt immer mit: wie bekomme ich ein höheres Bewußtsein, mehr Kraft, mehr Macht, mehr Intelligenz. 

Der Unterschied zwischen dem Ketzer, der Gnostiker geworden ist, und dem Ketzer, der in der Ketzerei steckengeblieben ist, liegt darin: Der Gnostiker hat seine Geteiltheit erkannt und Gott in der "kleinen Kraft" seines Seelen-Individuums sowie in den Schwingungen rund um sich wiedergefunden. 

Der streitbare Ketzer hat den Begriff "Gott" noch immer außerhalb von sich gestellt, und wenn nicht, dann vermischt er Gott, die Urschwingung, mit seinem eigenen Wesen. Die Welt geht zugrunde an dem Streit der vielerlei horizontal Gerichteten. 

Sie geht auf der einen Seite zugrunde, weil sie Gott verloren hat und lichtlos geworden ist, und auf der anderen Seite, weil die Ich-Individuen sie durch ihren grenzenlosen Machtwahnsinn aushöhlen, sei es in der sichtbaren, sei es in der unsichtbaren Sphäre. 

Für den Erde-Planeten ist es unwichtig, ob man sich an seinem ätherischen Körper vergreift oder auch an seiner stofflichen Form. 

Der Parasitismus des Ich-Individuums bleibt fatal. 

Jeder Mensch, der den Erfahrungsweg bis zu dem Gnostizismus gegangen ist, kehrt beladen mit innerer Kenntnis, getragen durch Bewußtsein und Einsicht, zu der Religion zurück, dem Dienst der Seele an Gott. 

In jedem Gnostiker steckt ein verborgener Aufständischer gegen Gesellschaft und dogmatische Religion. Weil er hinter die Kulissen dieses gigantischen Bauwerkes blickt! 

Aber er bewegt sich niemals mehr auf der kämpfenden horizontalen Ebene, da sein "Ich" ausvibriert ist, sei es mental, gefühlsmäßig oder willensmäßig, oder alles in allem. 

Okkultismus zieht diesen Gnostiker nicht an, weil seine Seele Gott nicht darin wiederfindet, sondern immer einen Stellvertreter. Alle Gnostiker, wie ihr äußerer Name auch sein möge, gehen unter in der universellen Religion, in der das Seelen-Individuum zu Gott zurückkehrt. 

Darum ist eine gnostische Bewegung niemals in einer äußeren Gruppierung abzugrenzen, sondern die Trennung liegt einzig in dem Bekennen der Religion der Seele und dem Bekennen der Religion des Ichs.  

Ein Rosenkreuzer ist somit auch erst dann wahrhaft Rosenkreuzer, wenn er Gnostiker ist, vorher gehört er zu den horizontal Gerichteten. Man kennt in der heutigen Welt viele Rosenkreuzer-Bewegungen, man kennt Neo-Katharer, man kennt Neo-Druiden und Neo-Gralsritter und noch vieles mehr! Aber man kennt nicht soviel Gnostiker, denn der Gnostiker beweist sich nicht durch eine Lehre, sondern durch eine Lebenshaltung. 

Von den obenstehenden Bewegungen ist nicht eine einzige gnostisch, in der wahren Bedeutung des Wortes, denn der Gnostiker dient nicht der Gesellschaft, er dient nicht seinem "Ich", er dient nicht der Welt, in der horizontalen Bedeutung, außerdem ist er auch nicht auf Selbstbefriedigung aus. Ferner ist ein Gnostiker nicht intellektuell ausgerichtet, noch schwärmerisch mystisch, noch ein Willens-Magier. 

Der Gnostiker ist - in den Augen der Welt - weder Fisch noch Fleisch, denn er ist ungreifbar! 

Nun, wenn Sie glauben, daß unsere Gemeinschaft nicht religiös, vielmehr außerhalb jeder Religion stehe, wir sagen Ihnen: wir sind mehr als religiös, wir sind Religion-Suchend! Wenn Sie den Weg unserer Gemeinschaft bekennen wollen, müssen Sie bestimmt religiös werden, in dem besten Sinn des Wortes. 

Die Rückkehr des Seelen-Individuums zu Gott, nachdem sich das Ich-Individuum selbst erkannt hat, ist weder eine Frage ausschließlich des Herzens, noch eine Frage ausschließlich des Hauptes, noch eine Frage ausschließlich des Willens. 

Das "Ich" liegt in allen diesen drei Vermögen, und es hat sich darin eingenistet, durch den Erfahrungsweg, durch das Wachsen des Ich-Bewußtseins.  

Sobald das Seelen-Individuum erwacht, schlägt dieses Ich-Individuum das Bußkleid um sich. Das nun ist der Weg der Pistis Sophia. Dieses Ich wird von 7 Dämonen und ihren 12 äonischen Dienern mit deren Trabanten beherrscht. Und sie alle haben ein Teilchen des "Ichs" am Seil. 

Die einzige Methode, ihrem Griff zu entkommen, ist, durch ihren Ring hindurchzubrechen, durch die Pforte zwischen Tod und wirklichem Leben hindurchzugehen. Diese Pforte befindet sich in uns, aber auch außer uns, außerhalb der Sphäre der sieben Planeten. 

Das Durchschreiten der Pforte ist nur der Wechsel eines Dekors: zuerst der Besitz des Ich-Individuums mit dem Formen-Gott, oder dem äonischen Gott, danach der Besitz des Seelen-Individuums mit dem universellen Gott. 

Und nun ist es die Schwierigkeit, und auch die Gnade, daß der Wechsel des Dekors nur auf den Wunsch unseres freien ursprünglichen Willens hin geschieht. 

Nichts, was außerhalb des saturnalen oder Notordnungs-Ringes besteht, ist zu forcieren, durch unseren alten Willen zu zwingen. 

Dieser Wille hat damit keinen Kontakt!  

Die Pforte weicht nur auf das Losungswort des freien, ursprünglichen Willens, der in der schwachen kleinen Kraft der Seele wohnt.  

Darum sind Gnostiker immer Einzelne, obwohl sie einander erkennen, kennen und beistehen. Wenn dieser freie Wille, geboren in Freiheit, in der Freiheit des Seelen-Individuums, das nur erwachen kann, wenn das "Ich-Individuum" es losläßt. 

Wenn dieser freie Wille ein sehnendes Verlangen aussendet, öffnet sich die Tür um einen Spalt, und die Lichtbindung zwischen Seelen-Individuum und Gott, dem universellen Individuum, der mächtigen Einheit ist zustandegekommen. Solch eine Bindung zeichnet die Seele, ist unvergeßlich für sie, daraus erwächst Seelenverlangen, Einsicht, Mut, Ausdauer und das niemals nachlassende Seelen-Vertrauen, so bezeichnend z.B. für die Pistis Sophia, wie für alle Großen der Gnostiker. 

Ein Vertrauen, das aus Seelen-Wissen erwachsen ist und nicht aus sklavischer Unterwürfigkeit. Dieses Vertrauen, das gleich ist mit Religion, ist der größte Schatz, den der Kandidat auf der Heimreise finden kann. Denn dieses Seelen-Vertrauen, aus freiem Willen geboren, gewachsen auf der Basis der kleinen Kraft, ist die Selbstüberwindung oder das Endura. 

Zweifel, Verzweiflung, Mutlosigkeit sind dann auch immer Eingebungen des "Ichs", denn es mißtraut der "schwachen kleinen Kraft".  

Kandidaten, die mißtrauisch über die Führung der "kleinen Kraft" sprechen, beweisen, mit dem Maßstab des "Ichs" zu messen und also nicht in der wahren Religion zu stehen. 

Die bequemste Auflösung für die, welche kein Vertrauen in das Seelen-Individuum haben, ist die Führung Ihrer Heimreise in die Hände dessen oder derer zu übergeben, der dieses Seelen-Vertrauen wohl besitzt! 

Aber der Kandidat vergißt dabei, daß die Heimreise der Auftrag für jedes gesonderte Individuum ist, und daß vor allem die Bedingung ist: der freie Wille und die Freiheit der Seele. 

Sich in die Hände eines vertrauten Führers zu begeben bedeutet: nicht zu wagen, die Verantwortung für das Ergebnis der Anstrengung zu sehen! Mehr noch: Solch ein Kandidat, dieses Ich, mißtraut dem Seelen-Individuum und seiner Lichtkraft so sehr, daß er sich von vornherein - im Hinblick auf ein Mißlingen - hinter dem Rücken des Leiters oder Meisters verbirgt. Nicht begreifend, daß auch ihm die Rechnung präsentiert werden wird! 

Wenn Seelen-Individuen sich einander anschließen, gibt es keinen Meister oder Führer, nur Gleiche, die zusammen gehen, und der, welcher die anderen belehren will, muß beweisen, den Weg zu kennen.  

Die Einsicht in diesen Weg wächst mit dem Weiterschreiten der Seelen-Individuen, der Horizont kommt näher, wird leuchtender, es gibt keinen Stillstand. In solch einer Gruppe strebt man nicht dem Ziel des Leiters oder Meisters nach, sondern jedes Seelen-Individuum formt sein eigenes Ziel in dem Feld seines Seelen-Auges. Und die, welche eventuell weiter auf der großen Heimreise sein sollten, verlegen die Horizont-Grenze für alle Seelen-Individuen ein bißchen weiter, damit sich alle weiterbewegen werden!  

Es geht hier nicht nur um die Befreiung des eigenen Seelen-Individuums, sondern es geht darum, daß alle, die dieses Individuum besitzen, weiterkommen - bis in den Lichtkreis, der außerhalb des dialektischen Ringes liegt. Ein Gnostiker versucht darum immer, Rassengefährten, d.h. Gleiche, Seelen-Individuen mitzubekommen, ihnen weiterzuhelfen, denn dieses Individuum, wie unteilbar auch, findet sein höchstes Glück in der Vereinigung mit anderen Lichtkernen. 

Denn es kennt die Einheit, in sich selbst, aber auch mit anderen. Diese Einheit ist nur möglich durch die echte Verbindung mit der Religion: die Rückkehr des Individuums zu Gott. 

So die unbegrenzte Einheit wiederfindend, in dem leuchtenden Feuer des Ewigen Lebens.

©1970 - 2020    Henk und Mia Leene